Entscheidungshilfe: Chancen und Risiken des Gründens

Immer wieder lerne ich Leute kennen, die eine Frage über Monate oder sogar Jahre vor sich herschleppen: Soll ich ein eigenes Unternehmen gründen? Manche schleppen sogar sehr viele Fragen mit sich herum, die ihnen den Schlaf rauben: Ist es nicht riskant zu gründen? Was wenn mein Geschäftsmodell doch nicht funktioniert? Was werden Freunde und Familie denken? Habe ich überhaupt alle notwendigen Eigenschaften dafür? usw. Die Entscheidung Unternehmer zu werden, wird in Österreich und Deutschland nach wie vor durch das Vorurteil erschwert, dass es ein riskanter Akt sei und man „nicht ganz normal“ sein muss, um so etwas zu wagen. 2010, als ich mit 18 Jahren mein erstes Unternehmen gegründet habe, wurde ich aber von einigen sowieso als Spinner abgespeist und belächelt. Im Vergleich dazu hat sich die Gesamtsituation schon verbessert. Gründen ist zumindest ab der Generation-Y ziemlich „in“ geworden. Vorweg: Nur zu gründen um „in“ zu sein ist schlichtweg dumm. Und dumm zu sein war noch nie „in“.
Meiner Meinung nach gibt es kein Richtig oder Falsch in der Frage, ob man Unternehmer werden soll, oder doch lieber bei einer Anstellung bleibt. Das eine wie das andere birgt Risiken und Chancen – als Unternehmer können nur beide Seiten stärker ausschlagen. Es ist quasi Geschmacksache! Und um für „Geschmacksentwirrung“ zu sorgen, möchte ich kurz die Vor- und Nachteile des Gründens aus meiner Perspektive beleuchten.

 

Risiken bzw. Nachteile

1. Höchste Eigenverantwortung

Das Führen eines Unternehmens bedeutet vor allem zu Beginn, dass alles in der Hand der Gründer liegt. Wenn die Gründer in der Nase bohren, bohrt die Firma in der Nase. Wenn die Gründer 10.000 Euro versenken, erhöht sich der Verlust um 10.000 Euro. Wenn die Gründer keinen Umsatz machen (weil sie z.B. in der Nase bohren), kann das Unternehmen seine Fixkosten nicht decken. Es kommt keiner und sagt, dass man gefälligst die Hufe schwingen soll. Gut, irgendwann kommt der Insolvenzverwalter – dann habt ihr definitiv zu lange in der Nase gebohrt. Ich will damit keinesfalls sagen, dass ihr in einem Unternehmen immer alles selbst machen müsst. Am Anfang mach das der Fall sein, aber irgendwann müsst ihr die ersten Mitarbeiter einstellen, um alles erledigen zu können – auch dafür seid ihr als Gründer verantwortlich. Seid euch dieser Verantwortung bewusst und gebt nach der Gründung alles. In den meisten Fällen, in denen Gründer zu mir kommen und behaupten, dass „nichts weiter geht“, liegt es daran, dass niemand von ihnen weiter macht. Oder einfach das Falsche gemacht wird. [zeigt auf Nase]

2. Zeitlich intensiv

Ein Unternehmen aufzubauen bedeutet zeitlich sehr viel zu opfern. Aus diesem Grund sollte man auch nur eine Firma gründen, deren Geschäftszweck für einen persönlich so interessant ist, dass man fast zu jeder Zeit daran arbeiten möchte. Wenn ihr schnellstmöglich erfolgreich werden wollt, dann solltet ihr als Gründer eure gesamten Zeitressourcen dafür aufwenden, euer Geschäft voranzutreiben. Wieso? Die Fixkosten arbeiten immer gleich schnell. Der potenzielle Mitbewerb arbeitet (vielleicht) auch schnell oder entsteht, weil ihr so langsam seid und die Nachfrage da ist. Je schneller ihr vorankommt, umso länger ist euer Produkt oder eure Dienstleistung aktuell. Ein weiterer Grund, warum ihr gerade am Anfang noch mehr arbeiten müsst, als ein Angestellter, ist weil viele Nebenaufgaben für einen Unternehmer anfallen. Und wenn es nur das Schreiben von Angeboten (und hoffentlich auch Rechnungen), das Vorbereiten der Buchhaltung, Lohnverrechnung, Budgetplanung und andere Verwaltungsaufgaben sind. Die Zeit zerrinnt euch zwischen den Fingern und euch bleibt nichts anderes über, als dafür eure „Freizeit zu opfern“. Im Übrigen bin ich ein Feind von der Bezeichnung Arbeits- und Freizeit, weil dadurch die Arbeit automatisch negativ konnotiert wird. Für mich ist alles Lebenszeit, die mich in irgendeiner Form weiterbringt. Gründet deswegen in einem Themenfeld, das euch begeistert – dann müsst ihr auch nichts opfern!

3. Finanzielle Risiken und Einbußen

500 Euro im Monat habe ich mir nach der Firmengründung ausgezahlt. Um das tun zu können habe ich erst über 11.000 Euro einzahlen müssen. Wenn man ganz am Anfang steht ist nicht nur Zeit eine wertvolle Ressource, sondern auch Geld. Insbesondere sollte man kein Geld vom Konto auszahlen, dass nicht über Umsätze planbar wieder hereinkommt – ein Liquiditätsengpass entsteht schneller, als ihr zunächst glaubt. Die meisten Leute sind gezwungen, privat zurück zu stecken und den Luxus für gewisse Zeit ad acta zu legen. Ich kenne auch Situationen, in denen es nötig war, ganz auf Gehalt zu verzichten. Darauf muss man vorbereitet sein, insbesondere wenn man weder Budget-, Liquiditäts- und Vertriebsplanung hat – und die fehlen leider bei den meisten Firmen (im Übrigen auch bei etablierten Firmen, die einfach genug verkaufen bzw. Umsatz machen und sich so „durchwurschteln“). Wenn ihr das schlafraubende Gefühl ablegen wollt, nicht zu wissen, wie lange ihr noch über die Runden kommt, dann habt die Finanzplanung im Griff. Sie wird euch auch schnell zeigen, dass ihr auch im Vertrieb frühzeitig ansetzen müsst.

 

Chancen bzw. Vorteile

1. Selbstverwirklichung

Nichts ist erfüllender, als mit einer Sache, die man von Herzen gerne tut, auch Geld zu verdienen. Und es gibt selten in angestellten Berufen die Möglichkeit Leidenschaften so auszuleben, wie in der Selbstständigkeit. Meines Erachtens ist das sogar der größte und schönste Vorteil des Unternehmertums. Entscheidet man sich für ein Geschäftsmodell, mit dem man sich auch selbst verwirklichen kann und das einen antreibt, wird dieser Umstand ein Turbo für den Erfolg sein, weil einige Nebeneffekte dadurch ausgelöst werden. Zum Beispiel werdet ihr mehr Zeit investieren, weil ihr es wollt und es euch Spaß macht. Gleichzeit wird die Qualität gesteigert, denn die meisten Leute sind in den Dingen auch gut, die Ihnen Spaß machen. Die intrinsische Motivation ist der wichtigste und entscheidendste Faktor für eine Unternehmensgründung!

2. Unabhängigkeit

In eurem Unternehmen seid ihr zu Beginn nur von einer Person abhängig und die seid ihr selbst. Und das bleibt länger so, als es euch lieb ist. Aber die Beharrlichkeit und das Wachstum können entsprechende Unabhängigkeit mit sich bringen. Ich schreibe bewusst „können“, weil man niemals unabhängig werden wird, wenn man die Prozesse im Unternehmen so gestaltet, dass man stets überall eingebunden werden muss. Wenn das eigene Unternehmen von einem abhängig ist, kann man auch selbst keine Unabhängigkeit erreichen (ohne seine Vermögenswerte beträchtlich zu schädigen, versteht sich). Großes Ziel eines jeden Unternehmers sollte es sein, sich vollständig wirtschaftlich zu emanzipieren, sodass man als Gründer-Person weder an Zeit noch Ort gebunden ist. Das ist freilich nicht leicht zu erreichen, aber wenn dann nur einem Unternehmer möglich. Es bedeutet auch nicht, dass man nicht mehr im Unternehmen aktiv ist – im Gegenteil – es heißt vielmehr, dass man die Dinge tun kann, in denen man am besten ist. Ihr könnt Visionär sein, frei Denken und eure Firma wie ein Kunstwerk modellieren. Ich habe diese Station selbst noch nicht erreicht, aber kann zumindest partiell von finanzieller und zeitlicher Unabhängigkeit profitieren. Ein kleiner Hinweis noch an dieser Stelle: Wenn euer Unternehmen von euch als Gründer nicht mehr abhängig ist, wird dadurch auch der Unternehmenswert für den Verkaufsfall gesteigert und ihr müsst weniger Verpflichtungen nach einem Exit inkaufnehmen.

3. Vermögensaufbau

Eines muss euch klar sein, wenn ihr angestellt seid. Jemand anderer (der Firmeneigentümer) verdient mit eurer Zeit und Arbeit mehr Geld, als ihr selbst es tut. Als Unternehmer tragt ihr zwar viel Verantwortung, aber ihr seid auch der, der schlussendlich den größten Vorteil aus dem Erfolg eures Unternehmens zieht. Ihr könnt nicht nur beträchtliche Gewinne erwirtschaften und diese veranlagen, sondern auch einen Unternehmenswert aufbauen. Der Wert des Unternehmens ist vor allem dann ausschlaggebend, wenn es zu einem Verkauf eurer Gesellschaftsanteile kommt. (Achtung: Einzelunternehmen sind hiervon auszunehmen und eher eine ungeeignete Form, um einen Unternehmenswert aufzubauen.) Auf diese Art wurden die größten privaten Vermögenswerte weltweit geschaffen – die meisten Personen in der Forbes-Billionaires-List wurden über ihre Unternehmenswertsteigerung derart vermögend. Die Unternehmen sind natürlich entsprechend erfolgreich, auch wenn das nicht alleine auf betriebswirtschaftliche Kennzahlen zurückzuführen ist bzw. nicht mit solchen zu plausibilisieren ist. Dass Tesla beispielsweise mehr wert ist, als der gesamte Volkswagen-Konzern, rührt nicht daher, dass Tesla so hohe Gewinne einfährt. Der Kurs der Aktien an der Börse ist hier entscheidend und macht schlussendlich auch die Aktionäre reicher – vor allem den Gründer, Elon Musk.

Abschließend ist zu sagen: Wenn ihr euch dazu hingezogen fühlt, eine Unternehmensgründung durchzuziehen, weil ihr eine gute Geschäftsidee und eine Plan habt … go for it! Wenn ihr scheitert, könnt ihr euch noch immer anstellen lassen oder es später nochmal versuchen. Und falls ihr euch mit den Risiken wirklich zu unwohl fühlt, sucht euch einen erfüllenden Job, mit dem ihr Spaß habt – auch als Angestellter kann man eine Karriere machen. Viele Unternehmer wären selbst schlechte Angestellte! Entscheidet euch jedenfalls nicht gegen das Gründen, weil ihr euch vor Buchhaltung fürchtet (dafür gibt es Dienstleister und Software) oder ihr glaubt, dass ihr nicht „alles“ könnt. Niemand kann alles – sucht euch Co-Gründer, Mentoren, Coaches und Investoren, die euch unterstützen!

Kommentare
  • Julian
    Antworten

    Top, Top, Top !

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